„Feuchte Geige“ - Die Kiez-Kneipe der Östlichen Altstadt
Guten alten Bekannten wie einer originalen Flasche Goldbrand, einer Tüte Rondo, einem einstmals begehrten Stern-Radio oder der beliebten Frösi begegnet man im Ostalgie-Kabinett von Horst Soyeauyx. In einem Raum im Erdgeschoß seines Hauses neben der von seiner Frau Karin geführten Gaststätte „Zur Gemütlichkeit“ in der Faulen Straße 7 sammelt der ehemalige DDR-Bürger fast alles, was typisch für die Deutsche Demokratische Republik war.
Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, wenn man plötzlich wie in einem Konsum vor dem Jahre 1989 den täglichen Dingen des Lebens gegenübersteht, über eine große rote Losung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben ist das Ziel, das wir erstreben“ nachdenken muß. Dabei gehörte der ehemalige Fliesenleger wahrlich nicht zu den Befürwortern dieses Systems. Nicht einmal seine nun erwachsenen Kinder wollte er in den sozialistischen Kindergarten gehen lassen, damit sie nicht schon in jungen Jahren politisch beeinflußt werden.
Umso erstaunlicher diese Sammelleidenschaft. „Ich wahre das ohne Wertung auf, ich möchte nur, daß wir diese Epoche nicht verdrängen und verschiedene Dinge der Nachwelt als Zeitdokumente erhalten.“
Natürlich sind besonders Gäste aus den alten Bundesländern interessiert am DDR-Stübchen, staunen über die Brotpreise auf einer Tafel aus der Bäckerei, über Orden und Urkunden. Über große und kleine Fotos von Erich Honecker, Ernst Thälmann oder Wilhelm Pieck brauchen sie nicht lange nachzudenken, aber so manches Exemplar bedarf einer Erklärung, die nur ein ehemaliger DDR-Bürger nachvollziehen kann.
Horst S. ist der Mann, den man nie ohne Hut auf der Straße sieht. 500 Hüte gehören zu seiner Sammlung, die er allerdings im privaten Refugium aufbewahrt und der Öffentlichkeit nur auf dem eigenen Kopf präsentiert.
„Feuchte Geige“ wird die Kiez-Kneipe - zu DDR-Zeiten als Wohngebietsgaststätte bezeichnet - schon seit vielen Jahren genannt. Warum können die Inhaberin und ihr Ehemann beim besten Willen nicht sagen. Schon 1993 feierte das Objekt 100jähriges Bestehen. Bis 1913 stand der Name „Herberge zu Heimat“ über der Tür und für 5 Pfennig konnten in einem Männersaal mit 24 Betten und einem Frauensaal mit 10 Betten hier „Fremdgeschriebene“ - damit waren Handwerksleute und Tippelbrüder gemeint – übernachten.
1983 übernahm Karin S. mit Genehmigung des Rates der Stadt Rostock – Abteilung Handel und Versorgung – die Kommissions-Gaststätte ihres verstorbenen Vaters. Von nun an frönte ihr Ehemann Horst seiner Sammelleidenschaft. Als Fliesenleger in den ehemaligen PGHs fand er so manchen alten Bierkrug, verschnörkelte Bilder oder antikes Küchen- und Bauerngerät. Lange bevor es in den Gastronomie-Einrichtungen Mode wurde, zierten diese Gegenstände Wände und Decke der Kneipe. Besonders stolz ist er auf seine Schlüsselsammlung. Mit 14 000 Stück möchte er in das Guiness-Buch eingetragen werden, im Moment (Stand 2000) liegt der Rekord bei 10500 Schlüsseln.
Verkehrte früher die High-Society in der Faulen Straße 7 - im Gästebuch findet man unter anderem Zeichnungen von dem Künstler Lothar Sel und dem Rostocker Karikaturisten Peter Bauer - , so sind es jetzt mehr Leute aus der Wohngegend, die nach Feierabend ihr Bier hier trinken. Horst und Karin S. hoffen, dass sich das mit der Besiedlung des Katharinenstiftes durch die Hochschule für Musik und Theater ändert.
Zusatz 2009: Die Hoffnung wurde leider nicht erfüllt, aber auch 10 Jahre später öffnet die „Feuchte Geige“ Abend für Abend ihre Pforten, vorbeischauen und einkehren lohnt sich, die Eheleute Soyeauyx präsentieren gerne Ihre Sammlung bei einem gemütlichen Weizenbier.
Das Interview führte Gabi Pertus, es wurde abgedruckt in der OSTPOST Nr. 1
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