Steinbrocken landete im Bett - Das Petritor Rostocks im Wandel der Zeit
Das Petritor überdauerte die Jahrhunderte. Nicht die Bombennächte des Krieges haben es auf dem Gewissen, sondern die barbarische Verkehrsplanung der Bonzen.
Zu den Gebäuden, die der sozialistischen Stadtplanung zum Opfer fielen, gehört auch das Petritor.
Es wurde um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert erbaut und bewahrte seine ursprüngliche Gestalt bis zum Jahre 1942 nahezu unverändert. Als quadratisches Torhaus mit einem spitzbogig geschlossenen Durchgang, seitlichen Blenden und mit einem Walmdach bestach es durch trutzige Wehrhaftigkeit.
Im Schatten der herausragenden Petrikirche stehend, war das Petritor für die aus Richtung Osten kommenden Handelsleute der erste Zugang zur mittelalterlichen Stadt. Rostock hatte 1218 das lübische Stadtrecht erlangt. Nach 1217 wurde die Stadt mit einer schützenden Mauer umgeben. Wenige Mauerreste lassen heute noch ahnen, mit welcher Gewissenhaftigkeit die Bürger ihre Stadt vor Angriffen zu schützen wussten.
27 Tore unterbrachen die Mauer. Abends wurden sie geschlossen und wer sich nicht rechtzeitig innerhalb der Stadtmauer befand, musste schutzlos außerhalb der Stadt nächtigen. Es sei denn, er war in der Lage, einen Extra Obulus für einen außerordentlichen Einlass zu zahlen.
Nur wenige Tore sind uns erhalten geblieben. Von den Stadttoren nur das Steintor, das Kröpeliner Tor und als ältestes, das Kuhtor.
Seit das Petritor beseitigt wurde, ist von den einst zahlreichen Strandtoren nur noch das Mönchentor vorhanden.
Seine jetzige Gestalt hat es allerdings erst im Jahre 1806 erhalten. Gut informiert sind wir über den einstigen Standort des Mühlentores. Es hatte unterhalb des Bagehl seinen Platz. Das alte Schwaansche Tor befand sich etwa an der Stelle, wo sich heute Große Stadtschule und das ehemalige Sparkassengebäude am Rosengarten gegenüber liegen.
Neben den Toren waren in die Stadtmauer noch etliche halbrunde Wieckhäuser und kleinere Festungstürme eingebaut. Ein solches Wieckhaus ist noch auf den Wallanlagen in der Nähe des Kröpeliner Tores zu finden.
Von den Festungs- oder Mauertürmen ist nur noch der Lagebuschturm nahe des Steintores unversehrt erhalten. Die Erhaltung der gesamten Stadtbefestigung fiel den Rostockern offenbar nicht immer leicht.
Das belegen zum Beispiel folgende Notizen über die Reparatur des „Petrithor-Thurmdaches".
Am 11. Juli 1701 hatte der Rat beschlossen, „den Thurm auffm Petersthor fordersamsten in Augenschein zu nehmen. ob derselbe. Zumahlen am Dache, schadhafft, und was zu desselben Reparation erfordert wird, zu untersuchen".
Im November 1721 (!) erstattete schließlich Baumeister Bartholomäus Arendt seinen Bericht: „Was den Turm auf den Petry-Thor anbetrief: das Dach daucht auf drei Seiden nichts und das ist mit Spohn gedeckt; was an Spohn wohl fehlen wird, weiß der Turmdecker, was an Bräter zu beschaffen fählen wird, das beleuft sich auf 8 Zwölfter Bräter".
Im Anschluss an diesen Bericht mag es dann wohl zur fälligen Reparatur gekommen sein.
Bis zum Inferno der Bombennächte des Zweiten Weltkrieges hat das Petritor allen
Stürmen, die über unsere Stadt hinwegzogen, getrotzt. Und auch diese Nächte hat es, wenn auch arg beschädigt, überdauert.
Doch es sollte keine zwanzig Jahre mehr dauern, bis dieses Zeugnis unserer mittelalterlichen Stadtbefestigung einer barbarischen Verkehrsplanung weichen musste. Ob die Verantwortlichen wussten, dass ihre Pläne bei den Rostockern auf Ablehnung und Abscheu stoßen würden?
Es war an einem frühen Morgen im Mai 1960, als die Einwohner auf dem Alten Markt und rund um die Petrikirche durch einen lauten und dumpfen Knall aus dem Schlaf aufgeschreckt wurden. Außer einigen wenigen Frühaufstehern ahnte noch niemand, was geschehen war. Ein Unglück? Ja, es war eigentlich mehr als das. Eine Barbarentat war von den Stadtvätern in Auftrag gegeben worden: die Sprengung des Petritores. Das uralte Stadttor und Einfahrtstor für Kaufleute und Handelsgesellen aller Art war einem Willkürakt zum Opfer gefallen. Zwar hatten die Rostocker schon voller Grimm miterleben müssen, wie die kriegsbeschädigte Jakobikirche der Mittelstadt beseitigt worden war, aber Kirchen, das wusste man, waren den Kommunisten verhaßt. Doch das Petritor? Seine Grundbausubstanz hatte den Krieg überstanden und das Ensemble Petrikirche - Petritor war der Stadt erhalten geblieben. Nun blickte St. Petri von der Höhe herab auf die Slüterstraße, wo die Bomben nur ein Haus verschont hatten, und auf einen Steinhaufen, der einmal das Petritor gewesen war.
Einem Einwohner am oberen Ende der Wendenstraße hätte die Sprengung noch fast das Leben gekostet. Er hatte sich kaum zum Rasieren erhoben, als ein riesiger Steinbrocken durch das Fenster geflogen kam und in dem Bett landete, das er gerade verlassen hatte. Für die Glaserei Rahfoth in der Hartenstr. gab es einen neuen Auftrag. Rostock hatte einen Verlust erlitten, der einer neuen Generation die Bürde auferlegte, die Wunde wieder zu schließen. Es bleibt zu hoffen, dass die neuen Stadtväter und -Mütter mit Weisheit und Sorgfalt, vor allem aber mit kluger Überlegung diesem Auftrag eines Tages gerecht werden.
Autor: Pastor em. Passig
Erstveröffentlichung 10/1991 Greif Rostock, bearbeitet und ergänzt 12/2009
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