Zeitzeugen: Hans-Ullrich Kislatis (Jahrg. 1937) erinnert sich an Kindheit & Jugend in Rostock

Hans-Ullrich Kislatis
Hans-Ullrich Kislatis

OSTPOST: Herr Kislatis, was verbindet Sie, als Neustrelitzer, mit unserer schönen Hansestadt Rostock?

H.-U. Kislatis: Ich habe meine Kindheit und Jugend in der Kriegs- und Nachkriegszeit in Rostock verbracht. Durch die Internetseite des Altstadtvereins bin ich auf das Buch von Hans Käckenmeister „Ein Pierknüppel erzählt…“ aufmerksam geworden und habe viele Gemeinsamkeiten zwischen meinen Lebenserinnerungen und denen des Autors festgestellt. Auch ich habe meine Erlebnisse von damals zusammengetragen und nieder geschrieben.

OSTPOST: Welche Erlebnisse haben Ihre Zeit in Rostock besonders geprägt?

H.-U. Kislatis: Das waren natürlich in erster Linie die Ereignisse, die mit dem Krieg in Zusammenhang standen, wie die Bombardierungsnacht im April 1942, die Evakuierung und die Einquartierung Ausgebombter. In der Nachkriegszeit gab es aber auch Dinge, an die ich mich gern erinnere. Da waren z.B. der Schwimmunterricht am Mühlendamm, das Eislaufen auf den Gaswiesen, der Unterricht an der Großen Stadtschule II, Pfingst- und Weihnachtsmarkt in der Altstadt, Fahrradtouren in der 8. Klasse, Zelten in Prerow und der FKK-Strand „Klein Afrika“. Natürlich gab es auch Streiche, die wir getrieben haben. So haben wir z.B. nach 1945 die so genannten „Sprengnieten“ auf die Straßenbahnschienen gelegt oder das „Blöökern“ mit Blechdosen und Laub war bei uns Jungs auch sehr beliebt.

OSTPOST: …und gefeiert wurde unter den Jugendlichen sicher auch kräftig…oder?

H.-U. Kislatis: Natürlich! Meine ersten Tanzversuche habe ich im „Schuster“ gemacht. Dann belegte ich 1953/54 einen Tanzkurs bei Trude Sussek. Übrigens war die jüngere Tochter der sehr bekannten Schauspielerin Erika Dunkelmann damals meine Tanzpartnerin beim Tanzstundenabschlussball im „Mau“. Dann gab es natürlich noch Herrentagsausflüge nach Wilhelmshöhe und ins Schweizerhaus, Besuche im Ratskeller und nicht zu vergessen, der Karneval in Rostock mit großem Umzug bis zum Markt und anschließender Feier in allen Sälen.

OSTPOST: Wie kam es dann, dass Sie Ihrer Heimatstadt Rostock den Rücken zugekehrt haben?

H.-U. Kislatis: Ich ging 1957 zum Studium an die Ingenieurschule für Bauwesen nach Neustrelitz. Dort heiratete ich 1960 und bin dann dort, im ehemaligen Bezirk Neubrandenburg geblieben. Es hat mich aber immer wieder an die Küste gezogen und ich muss sagen, dass ich im Herzen immer „ok en Pierknüppel bün“.

OSTPOST: Auf das Buch „Ein Pierknüppel erzählt…“ sind Sie beim Surfen auf der Internetseite unseres Altstadtvereins gestoßen?

H.-U. Kislatis: Ja, besonders habe ich mich hier für das Kapitel 2/2 „Ein Bummel auf historischen Pfaden durch die Östliche Altstadt“ interessiert. Hier gibt es auch für Kenner der Stadt viel Neues über Altes zu erfahren, z.B. über das Gewerbe der Gerber, Fischer und Fleischer, die im Altstadtbereich früher angesiedelt waren. Gut gefallen haben mir auch die Kurzbiografien der Jugendfreunde des Autors. Viele Jugenderlebnisse von Hans Käckenmeister decken sich mit meinen, das hat sich übrigens auch bei einem Treffen mit ihm vor kurzem bestätigt. Ein gelungenes Werk mit sehr viel Heimatliebe und Fleiß erstellt.

OSTPOST: Haben Sie auch persönliche Erinnerungen an die Östliche Altstadt?

H.-U. Kislatis: Ja, eine ganze Menge sogar, z.B. die Verteilung von Speiseöl im Mai 1945 von einem Kesselwagen in der Grubenstraße aus oder die Wäscherei Ecke Große Wasserstr./Kleine Wasserstr., zu der ich gemeinsam mit meiner Mutter die Bett- und Tischwäsche in einem Koffer brachte und wieder abholte.

Auch der Fleischerladen hinterm Rathaus in der Großen Scharrenstraße wurde von uns oft angesteuert. Als Lehrling der Bau-Union (1952-54) fuhr ich jeden Morgen mit der Straßenbahn durch die Östliche Altstadt zum Osthafen und nach Feierabend wieder zurück. Dadurch ist mir das Ensemble Petrikirche und Petritor noch stets vor Augen. Und von welcher Seite man auch heute auf diesen Punkt zukommt…es fehlt etwas. Als Lehrlinge haben wir damals übrigens auch am Wohnungsbau in der Grubenstraße mitgewirkt und haben mit unserer Eisenbiegerbrigade dort noch nach traditioneller Bauweise vor Ort Kleinsche- und Ackermann-Decken eingebaut. Auch in Liebesdingen war die Altstadt für mich von Bedeutung. Meine erste feste Freundin 1955 wohnte Beim Katharinenstift.
Dort holte ich sie immer ab und brachte sie dann, wie es damals üblich war artig wieder bis an die Haustür zurück.
Auch aus meiner Studienzeit an der ABF gibt es noch Erinnerungen an die Östliche Altstadt.
Allerdings mehr im Randbereich. An der Stadtmauer in Höhe des Steintores gab es die Gaststätte „Zur Krimm“ die zu meiner Stammkneipe wurde.

OSTPOST: Wie wir hörten, interessieren Sie sich auch besonders für den geplanten Wiederaufbau des Petritores. Was ist es, was Sie daran besonders fasziniert?

H.-U. Kislatis: Ich interessiere mich sehr für historische Bauten und ich finde die Tatsache verwerflich, dass das im Krieg am 23./24. April 1942 durch einen Bombenangriff zwar beschädigte, aber nicht völlig zerstörte Petritor am 27. Mai 1960 mit fadenscheiniger Begründung in einer Nacht- und Nebelaktion abgerissen wurde. Anstatt dieses Jahrhunderte alte Bauwerk zu sanieren, wurde es einfach beseitigt. Auch hier in Neustrelitz habe ich nach so langer Zeit nicht die historischen Bauten der Altstadt vergessen. Daher habe ich mir von einem Maler sogar verschiedene Bilder anfertigen lassen. Zur Zeit entsteht ein neues Bild mit den Rostocker Toren.

OSTPOST: Dann hat es Sie sicher sehr gefreut, von den Bemühungen zum Wiederaufbau des Petritores zu hören.

H.-U. Kislatis: Ja, ich bin natürlich sehr erfreut, dass sich Vereine nach wie vor für die Rekonstruktion des historischen Tores einsetzen und sich nicht durch die „Absicherung einer Feuerwehrzufahrt“ von ihrem Ziel abbringen lassen sollten. Es gibt für solche Problemfälle bei gutem Willen auf allen beteiligten Seiten immer eine Alternativlösung. Das kann ich aus meiner 40jährigen Berufserfahrung als Planer und Projektvorbereiter von Straßen- und Brückenbauvorhaben nur unterstreichen.

OSTPOST: Dann hoffe wir für alle Rostocker, aber besonders für die Bewohner der Östlichen Altstadt, dass dieses historisch bedeutsame Bauwerk bald, in welcher Form auch immer, wiedererstehen wird.
Herr Kislatis, ich danke Ihnen sehr für dieses interessante Interview.

Dieses Interview wurde abgedruckt in der OSTPOST Nr. 21.

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