Zeitzeugen: Interview mit Harry Meyer

Harry Meyer damals
Harry Meyer damals

Heute haben wir einen Zeitzeugen gefunden, der nicht nur in der Östlichen Altstadt geboren und in der Nördlichen Altstadt aufgewachsen ist, sondern der auch in der und um Rostock herum als Selbständiger gearbeitet hat. Unser Zeitzeuge heißt Harry Meyer.

OSTPOST: Herr Meyer wann und wo sind Sie geboren?

Harry Meyer: Geboren wurde ich 1926 in der Großen Wasserstraße neben Kranstöver in einer 1-Zimmerwohnung mit Küchennutzung. Im Krieg ist das Haus leider zerstört worden und heute ist da dieses Rohfischrestaurant (Anmerkung der Redaktion: „Sushi & Kushi“ in der Großen Wasserstraße Nr. 32) drin.
Wir sind aber schon lange vorher in die Schnickmannstraße umgezogen. Die Wohnung war geräumiger.

OSTPOST: Was verbindet Sie noch mit der Altstadt?

Harry Meyer: Mein Vater hat 1928 hier ein Fuhrunternehmen gegründet. Naja, das war schon in der Schnickmannstraße, doch das ist doch alles Altstadt. Damals haben wir erst noch mit Pferd und Wagen angefangen. Unseren Pferdestall hatten wir in der Wokrenterstraße. Im Jahr 1933 bekamen wir unseren ersten LKW - einen Chevrolet 1,5-Tonner mit Holzspeichen. Wir fuhren viel für Draht-Bremer in der Krämerstraße aber auch für andere Fabrikanten in der Östlichen Altstadt. Da war die Fuhrmann Sensenstreicherfabrik Am Wendländer Schilde oder Bürstenfabrik Bernhard. Außerdem haben die Stellmacherei und die Schmiede am Alten Markt die Pritschen und Federn unserer LKW aufgebaut.

OSTPOST: Sensenstreicher, wissen Sie wie die hergestellt werden?

Harry Meyer: Na klar, Jung. Das waren keilförmig geschnittene Buchenholzbrettchen deren Spitze in Harz getaucht wird und danach in Quarzsand. Da gab es verschiedene Körnungen für die verschiedenen Schliffe. In Graal Müritz gibt es eine Stelle da wird schwarzer Quarzsand angespült, immer bei einer Sturmflut. Danach sind die Frauen der Fuhrmann Fabrik an den Strand und haben den Sand für ganz besondere Streicher gesammelt. Übrigens die Streicher werden heute noch so hergestellt.

OSTPOST: Wie ging es dann mit Ihnen weiter?

Harry Meyer: Von 1941 - 1944 habe ich Autoschlosser bei Opel Rubin gelernt und wurde nachdem ich ausgelernt habe als 17jähriger in die Wehrmacht eingezogen und zur Ausbildung nach Polen verfrachtet. Ich wurde zum Pionier ausgebildet und dabei blieb es auch, denn die Front rückte immer näher und wir wurden nach Usedom evakuiert und von dort nach Holstein wo wir dann bis 1948 bei den Engländern „zugast“ waren.

OSTPOST: Was haben Sie dann nach dem Krieg gemacht?

Harry Meyer: Da ging es dann weiter im Geschäft von meinem Vater. Durch den Krieg hatten wir unsere LKWs verloren. Ein Neuer musste her. Wie? Ich war ja Autoschlosser also habe ich aus einem Borgwardtchassis, einem Studebakermotor und einem Chevroletführerhaus einen „neuen“ LKW gebaut. Besonderheit: ein Holzgasofen wegen der Benzinknappheit. Das Holz für die Pritsche war aus Mecklenburg und aufgebaut wurde sie in der Stellmacherei am Alten Markt. Auf dem Bild stehe ich vor meinem Selbstbau, im weißen Hemd.
Zuerst fuhren wir für das Heeresverpflegungslager in Groß Schwaß und dann zunehmend für die Alte Molkerei in Lütten Klein. Wir bekamen dann noch einen Hansa Lloyd - auch auf Holzgas - und einen NAG Büssing mit Druckgas. Die Benzinknappheit ging vorbei und unsere LKW bekamen wieder Benzintanks. Der Sozialismus diktierte die Fahrten und auch das Benzin. Vom „Kraftverkehr“ wurden die Fahrten eingeteilt und auch die Benzinmarken. Schwarzfahrten waren so gut wie unmöglich. Hinzu kam, dass die privaten Fuhrunternehmen (gut zu erkennen an den Buchstaben AC) nur noch einen LKW besitzen durften. Das hieß der alte LKW musste entweder verkauft oder verschrottet werden. Beides wurde mit einer Bescheinigung belegt. So musste ich schweren Herzens meinen Selbstbau verkaufen, um mir einen TV 41 zu kaufen. Der war in einem Topzustand da kurz vorher mir noch ein Bus in die Seite hinein gefahren war. Denk mal nicht der „Neue“ war es auch. Der musste zuerst einmal zum Stellmacher am Alten Markt. Wie auch jedes weitere Fahrzeug, das wir und nach dem Ausscheiden meines Vaters ich bekam.

OSTPOST: Dann hatten Sie als Selbständiger eine harte Zeit?

Harry Meyer: Ach ja, es war nicht immer einfach. Doch für meine Frau, meine beiden Töchter und mich hat es immer gereicht. Auch für das Häuschen hier in Gehlsdorf. Ich fuhr aber weiterhin in der Altstadt und habe die hier ansässigen Firmen mit Arbeitsschutzkleidung beliefert, die in dem Speicher in der Wollenweberstraße gelagert wurde. Für den Chemiehandel habe ich Reifen und Gummiteile ausgefahren. Alles kleine Touren die keine Kilometer brachten. Der Fernverkehr wurde vom „Kraftverkehr“ abgedeckt. Wir Privaten hatten so was selten, innerhalb von 50 km war Nahverkehr.
Und wie gesagt Fernfahrten waren eher selten. Aber nun haben wir fast gar nicht über die Altstadt gesprochen ich hätte da noch ein paar Anekdoten über das Hafenviertel seine Kneipen und Freudenhäuser.

OSTPOST: Wenn Sie einverstanden sind, treffen wir uns noch mal zu einem Gespräch zu diesem Thema?

Harry Meyer: Jo, dat können wir daun.

OSTPOST: Herr Mayer, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Tom Pahlke, es wurde abgedruckt in der OSTPOST Nr. 12

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